Archivstück des I. Quartals 2022
Messstiftung an einer Zeitenwende und mehr:
Das sogenannte „Send´sche Legat“[1].
Mit großer Sorgfalt haben die Haintchener Pfarrer im 18. und 19. Jahrhundert die Messstiftungen in den Amtsbüchern verzeichnet – galt es doch gleichermaßen, die Erinnerung an die Verstorbenen, wie auch an die treue Fürsorge der Hinterbliebenen für ihre Toten festzuhalten.
Besondere Sorgfalt verlangte eine im August des Jahres 1801 errichtete Stiftung dem damaligen Haintchener Pfarrer Peter Schoenborn[2] ab. Drei Seiten mussten beschrieben werden, denn die Stiftung umfasste neben der eigentlichen Messe für verstorbene und lebende Familienmitglieder auch noch zahlreiche Gegenstände, die in den Besitz der Pfarrei Haintchen übergingen.
Wer war der Stifter?
Gleich zu Beginn des Eintrags vom 2. August 1801 vermerkte Pfarrer Schoenborn Titel und Name des Stifters: Se[ine] Hochwürden He[rr] Pfarrer zu Waldorf, Definitor Capituli Heidelbergensis[3] Primarius[4] und Examinator Synodalis[5] am Vikariat zu Worms[6], Josephus Send.
Warum aber errichtete Joseph Send, der Pfarrer aus Walldorf[7] im damaligen Fürstbistum Worms eine Stiftung für seine Familie in Haintchen?
Joseph Send wurde am 4. Juni 1744 in Weinähr[8] geboren, das damals zur Pfarrei Winden[9] gehörte. Sein Vater, Johann Anton Send, stammte aus Weinähr, seine Mutter, Anna Maria geb. Deboul, aber kam aus Haintchen[10].
Vor seiner Immatrikulation an der Universität Heidelberg im Jahr 1764 muss die Familie nach Haintchen umgezogen sein, da er hier als Josephus Send, Hainchensis[11] verzeichnet ist .
Nach dem Studium durchlief Send die Stufen der damaligen Weihehierarchie bis hin zur Priesterweihe im Jahr 1769[12]. Fast unmittelbar danach ist er als Verwalter einer Pfarrei im damaligen Bistum Worms nachweisbar. Er wird Pfarrer und, wie eine Quelle behauptet, vor 1778 Professor und Domprediger in Worms[13]. Im Jahr 1783 präsentiert ihn das Wormser Domkapitel auf die Pfarrei Walldorf. Darüber hinaus wurden ihm Funktionen in der geistlichen Verwaltung des Bistums Worms übertragen.
Zu Umfang und Bedingungen der Stiftung
Die von Joseph Send errichtete Stiftung umfasste ein Kapital von 111 Gulden. Dafür sollte monatlich eine Messe für die verstorbenen Eltern Sends, sowie deren lebende und verstorbene Nachkommen gelesen werden.
Daneben wurden an die Pfarrei Haintchen vier aufwendig ausgeführte Messgewänder nebst Zubehör[14] und zwölf feinen Purificatorien[15] übergeben. Außerdem noch 32 Bücher[16] zum Gebrauch des jeweiligen Herrn Pfarrers.
Die Stiftung erfolgte zu den folgenden Bedingungen:
- sollte der Termin der Send´schen Monatsmesse von der Kanzel verkündet werden.
- sollte bei der Lesung der Monatsmesse eines der Messgewänder getragen werden.
- Die Verwandten Sends erhielten die Befugnis für den Fall, dass der Stifterwille in irgendeiner Weise nicht erfüllt werden würde, das Stiftungskapital samt den Messgewändern einzuziehen und nach eigenem Gutdünken zu verwenden.
- sollte das Stiftungskapital in den Kirchenrechnungen immer separat ausgewiesen werden.
Was wurde aus der Messstiftung für die Familie Send?
Die von Pfarrer Joseph Send gestiftete Monatsmesse für seine Familie wird heute nicht mehr gefeiert.
Im Jahr 1875 war die Anzahl der Send´schen Monatsmessen durch bischöfliche Anordnung von 12 auf fünf pro Jahr reduziert worden. Diese Reduktion ist darauf zurückzuführen, dass die Zahl der gestifteten Messen von Jahr zu Jahr weiter zunahm. Das Kirchenrecht erlaubte einem Priester damals aber nur die Feier einer Messe pro Tag (Ausnahme: Weihnachten). Überstieg die Zahl der zu lesenden Messen diese Grenze, musste um Reduktion der ältesten Messstipendien durch das Bischöfliche Ordinaritat nachgesucht werden. Durch ein weiteres bischöfliches Reduktionsdekret aus dem Jahr 1932 ging die Send´sche Familienmesse – zusammen mit zahlreichen weiteren Messstiftungen – in eine an einem beliebigen Tag zu feiernde Messe ad intentionem omnium reductarum fundationum (in den Anliegen aller reduzierten Messstiftungen) über[17].
Was geschah mit den gestifteten Gegenständen?
1. Paramente
Die vier von Pfarrer Joseph Send an die Pfarrei gestifteten Messgewänder, waren, wie Pfarrer Schoenborn begeistert formuliert, von bestem Stoff, fast neu, und sehr schön. Sie machen den besten Zierrath der Kirche aus. Die Gewänder befinden sich heute nicht mehr in Haintchen. Sie gelangten teilweise(?) in den Jahren 1905[18] bzw. 1923[19] in den Besitz des Diözesanmuseums in Limburg. Im Jahr 2018 fand in Haintchen eine Ausstellung von Paramenten statt, bei der u.a. auch
Messgewänder aus dem Bestand des Diözesanmuseums gezeigt wurden, die aus Haintchen dorthin abgegeben worden waren. Darunter befanden sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Gewänder aus dem Send´schen Legat[20].
2. Bücher
Der Bücherbestand der Send´schen Stiftung für Haintchen[21] umfasste Titel aus verschiedenen Teilbereichen der Theologie v.a. zur Predigtlehre; aber auch einige Bücher naturwissenschaftlichen Inhalts. Er verblieb bis zum Ende der Amtszeit von Pfarrer Ruckes in Haintchen im Jahr 1831 ungeschmälert. Sieben Bücher lagen dem damals scheidenden Pfarrer anscheinend so sehr am Herzen, dass er vergaß, diese in Haintchen zurückzulassen. Da man sich offenbar nicht auf eine Rückgabe verständigen konnte, einigten sich die Pfarrei und Pfarrer Ruckes auf die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs[22].
Im Pfarrarchiv werden heute noch 14 Bücher aus der Send´schen Stiftung aufbewahrt[23].
Stiftung an einer Zeitenwende
An der Wende zum 19. Jahrhundert war absehbar, dass das Fürstbistum Worms den durch die französische Revolution in Gang gesetzten grundlegenden Veränderungen zum Opfer fallen musste[24]. Damit war die weitere Tätigkeit von Joseph Send in diesem Bistum in Frage gestellt. Walldorf selbst hatte durch Kriegseinwirkungen seit 1795 unruhige Zeiten erlebt, wie Send in der Pfarrchronik seiner Pfarrei berichtet[25]. Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund ist die Stiftung Sends an die Haintchener Pfarrkirche wohl einzuordnen.
Trotz der Umwälzungen hat Pfarrer Joseph Send seinen priesterlichen Dienst in der Pfarrei Walldorf bis zum Jahr 1820/21 fortgeführt. Im Jahr 1825 ist er in Heidelberg verstorben.
Pfarrarchiv Haintchen
Amtsbuch Bd. 3, Messstiftungen pag. 44
Haintchen, 2. August 1801
Pfarrer Joseph Send aus Walldorf stiftet eine Monatsmesse für lebende und verstorbene Mitglieder seiner Familie und übergibt der Pfarrei Haintchen Paramente und Bücher
1801 den 2ten August Legirten Hochwürden Herr Pfarrer zu Waldorf, Definitor Capituli Heidelbergensis primarius, und Examinator Synodalis am Vikariat zu Worms, Josephus Send, zur Stiftung einer alle Monate jeden Jahres für Hochdesselben verstorbene Eltern, Anton und Anna Maria Send, und sämtliche derselben Descendenten, Lebendige und abgestorbene, zu leßende H. Messe 111 fl.
Auch schenckte Hochdieselbe hiesiger Kirche eine
1. schwarze Meßgewand von Sammet mit breiten englischen silbernen Borden samt zugehör
2. Eine Blaue mit Blumen gestickte Meßgewand mit goldenen Borden samt zugehör
3. Eine rothe Meßgewand mit breiten silbernen Borden samt zugehör
4. Eine weiße Meßgewand mit goldenen Borden samt zugehör
Alle diese 4 paramente sind von bestem Stoff, fast neu, und sehr schön. Sie machen den besten Zierrath der Kirche aus.
Hiebey schenckten oben gemeldeter, für Haindchen eines unvergeßlichen Danckes würdige Gutthäter, 12 purificatorien von feinster Leinwand, und dann endlich zum Gebrauch eines zeitlichen Pastor dahier folgende Bücher
[Es folgt eine Auflistung von 32 Buchtiteln]
Vorbemerktes Legatum hat und behält seinen Bestand unter folgenden ausdrücklichen Bedingnissen
1. solle alle Monate auf einen dem Seelsorger beliebigen Tag eine H. Messe zu gemeldeter Intent[ion] geleßen werden
2. solle der Tag, wo die Messe geleßen wird, jedesmal von der Kanzel bestimmt verkündiget werden.
3. wird bey Haltung dieser Monatsmesse eines der oben beschriebenen paramenten gebraucht werden. Bey Sterbfällen die schwarze Casul ohne Unterschied der Personen.
Sollte aber
4. auf was immer für eine art oder Ereigniß, es geschehe, wie es wolle, über kurz oder Lang der Wille R[efferendissimi] et Ex[cellentissimi] D[omini] Benefactoris nicht erfüllet werden, so solle die Sendische Familie insgesamt sowohl wie auch jeder davon insbesondere befugt seyn, und Macht haben das Kapital à 111 fl samt den Paramenten an sich zurückzuziehen, und für sich zu behalten, oder nach Willkür solche zu verwenden, in welchem falle dann die Kirche und dessen Verwalter gehalten seyn sollen, besagtes Legat und paramenten ohne weiteres der reclamirenden familie herauszugeben. Zu welchem Ende
5. das legirte Kapital à 111 fl jedesmal in den Rechnungen separirter zu verzeichnen ist.
In fid[em] Schoenborn
P[ro] t[empore] Pastor
[1] Der Begriff „Legat“ bezeichnet hier ein „Vermächtnis“ bzw. allgemeiner das Überlassen von Gegenständen.
[2] Peter Schoenborn war von 1789 bis 1802 Pfarrer in Haintchen, Alois Staudt, Beiträge zur neueren Kirchengeschichte, in: 600 Jahre Haintchen, 79-112, hier: 105.
[3] In der Verwaltung eines Dekanats (Landkapitels) war der Definitor der Stellvertreter des Dekans (hier für das Landkapitel Heidelberg innerhalb des ehem. Fürstbistums Worms).
[4] Die Verwendung des Begriffs Primarius ist hier unklar. Er könnte einen Ehrentitel „Erster Priester“ (Pastor primarius) bezeichnen oder er könnte in Verbindung mit der Amtsbezeichnung Definitor stehen (erster Definitor).
[5] Der Examinator Synodalis war für die Prüfung eines Priesters vor dessen Ernennung zum Pfarrer zuständig.
[6] Das Vikariat war die „geistliche Verwaltungsbehörde“ für das ehem. Fürstbistum Worms.
[7] Walldorf gehörte im 18. Jahrhundert zur Kirchheimer Cent innerhalb des Oberamts Heidelberg in der Pfalzgrafschaft bei Rhein (Kurpfalz), Walter Wagner, Das Rhein-Main-Gebiet 1787, Darmstadt 1938, 46; kirchlich gehörte Walldorf damals zum Fürstbistum Worms.
[8] DAL Winden K2. – Heute ist Weinähr ein Teil der Verbandsgemeinde Bad Ems-Nassau im Rhein-Lahn-Kreis (Rheinland-Pfalz).
[9] Das Kirchspiel Winden bestand im 18. Jahrhundert aus den Orten Winden und Weinähr. Es war im Besitz der reichsunmittelbaren Abtei Arnstein, stand aber unter kurtrierischer Landeshoheit; Walter Wagner, Das Rhein-Main-Gebiet 1787, Darmstadt 1938, 42, 120. Kirchlich gehörte das Kirchspiel Winden damals zum Erzbistum Trier, heute zum Bistum Limburg.
[10] DAL Winden K2 02 Trauungen. – Die Familie Deboul stammte wohl aus der Wallonie, Hellmuth Gensicke, Von den Anfängen bis zur Neuzeit, in: 600 Jahre Haintchen, 76.
[11] Gustav Toepeke, Die Matrikel der Universität Heidelberg (4. Teil): Von 1704-1807, Heidelberg 1903, 220. – Am selben Tag (4. Dezemberg 1764) hat sich auch Ludwig Mollie aus Haintchen an der Universität Heidelberg eingeschrieben, ebd.,
[12] Bistumsarchiv Trier, Weltkleriker vor 1800“, Karteikarte „Joseph Send“
[13] Bistumsarchiv Speyer, Priesterkartei, Karteikarte „Joseph Send“.
[14] Zum Zubehör eines Messgewands gehören Stola, Manipel, Kelchvelum und Bursa. Sie sind aus dem gleichen Stoff wie das Messgewand gefertigt.
[15] Purifikatorien (Einzahl: Purifikatorium) sind Kelchtücher aus weißem Leinen, die vom Priester zum Reinigen (Purifikation) des Kelchs benutzt werden.
[16] Die von Pfarrer Schoenborn im Amtsbuch verzeichnete Liste umfasst 26 Buchtitel. Allerdings weisen die unter den Nummern 18 und 20 aufgeführten Titel mehrere Bände auf.
[17] Pfarrarchiv Haintchen, Preußische Zeit, Mappe: Verzeichnis der Messstiftungen (alt).
[18] Im Jahr 1905 wurden vier Messgewänder aus Goldleder, ein Chormantel (Pluviale) aus dem Jahr 1712 und sieben weitere Messgewänder an das Diözesanmuseum übergeben, DAL 3.1.1., 6A/1.
[19] Im Jahr 1923 werden 12 Messgewänder aus Haintchen unter den Neuerwerbungen des Diözesanmuseums aufgeführt, DAL 3.1.1., 6A/4. Unter diesen dürften sich auch die Gewänder aus der Send´schen Stiftung befunden haben.
[20] Eine Dokumentation der Ausstellung mit Fotografien der gezeigten Gewänder befindet sich im Pfarrarchiv.
[21] Weitere Bücher hat Pfarrer Send der Pfarrei Walldorf hinterlassen, Erzbischöfliches Archiv Freiburg i. Br., A. Alte Bistümer, Bistum Worms, Walldorf A53/204.
[22] Pfarrarchiv Haintchen, Nassauische Zeit, Mappe: Rechnungsangelegenheiten (alt).
[23] Die Bücher tragen im Einband oder Vorsatz einen handschriftlichen Eigentumsvermerk.
[24] Hans Ammerich, Kirchliche Strukturen und religiöses Leben bis zur Auflösung des Bistums, in: Das Bistum Worms, 246-260, hier: 254-260.
[25] Chronik von Walldorf, zusammengestellt von Klaus Ronellenfitsch, Walldorf 2020.