Pfarrer Klemmer verlässt Haintchen

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Am 19. April 1750 segnete Pfarrer Johann Theodor Klemmer den Grundstein der neuen Pfarrkirche ein[1] - im Juni verließ er Haintchen. Was war geschehen?
Die im Pfarrarchiv aufbewahrten Dokumente belegen einerseits das Engagement von Pfarrer Klemmer rund um den Neubau der Pfarrkirche. Andererseits lassen sie aber auch vielfältige Konfliktlinien in diesem Kontext zu Tage treten[2].
Ein solcher Konflikt und seine Lösung spiegeln sich in dem hier vorzustellenden Archivstück: Ursache für die Auseinandersetzung war die Verteilung der Kosten des Kirchenneubaus. Dabei war auch der Pfarrei bzw. dem Pfarrer als Nutznießer von Zehntrechten die nicht unerhebliche Summe von 500 Reichstalern zugefallen. Pfarrer Klemmer hat diese Verpflichtung zunächst anscheinend akzeptiert - zumindest findet sich im Pfarrarchiv kein Hinweis darauf, dass er dagegen Einspruch erhoben hätte[3].
Die genauen Gründe dafür, warum es schließlich zum Streit mit den Haintchener Pfarrgenossen und zu einer Reduzierung des Kostenanteils für Pfarrer Klemmer kam, bleiben vor diesem Hintergrund unklar[4]. Die Umstände lassen sich nur teilweise rekonstruieren:
Zunächst erfahren wir aus dem nachstehenden Archivstück, dass Johann Theodor Klemmer dabei war, Haintchen zu verlassen oder es bereits verlassen hatte, er sei dermal abgehend heißt es.
Sodann erklären die Gemeindevorsteher, dass sie „um des lieben Friedens willen“, „um Irrungen zu vermeiden“ und „zur Bezeugung ihrer Dankbarkeit und Hochachtung als fromme Pfarrkinder“ bereit seien, eine Reduzierung des festgesetzten Kostenanteils Pfarrer Klemmers zu akzeptieren. Diese Formulierungen sind sicher so zu lesen, dass sie das Entgegenkommen der Pfarrgenossen gegenüber ihrem Pfarrer hervorheben sollen. Offenbar sahen sich die streitenden Parteien berechtigt, die Reduzierung von 500 auf 300 Reichstaler auszuhandeln. Es bleibt unerörtert, wer die ausfallenden 200 Reichtaler übernehmen sollte. Anscheinend fiel dies der Gemeinde zu, die ja mit Klemmer diesen Vergleich aushandelte. Des Weiteren erfahren wir, dass der Vergleich zwischen Pfarrer und Pfarrkindern auf Vermittlung der beiden Priester Ferdinand Damian Miger und Mauritius (Moritz) Deboul zustande kam. Auch wenn zur Berufung der Vermittler nichts weiter verlautet, bleibt festzuhalten, dass ihr Schiedsspruch durch die streitenden Parteien akzeptiert wurde. Interessant zu bemerken ist, dass Mauritius Deboul aus Haintchen stammte und der Hasselbacher Pfarrer Ferdinand Damian Miger im Juni 1750 – also unmittelbar im Umfeld dieser Ereignisse – Klemmer ablöste und Pfarrer in Haintchen wurde. Beide Vermittler verpflichteten sich im Rahmen des Vergleichs einen Betrag von 40 bis 50 Gulden für die Ausstattung der neuen Kirche in Haintchen zu spenden.
Neben der Frage des Kostenanteils wurde noch ein zweiter Streitpunkt geregelt: Pfarrer Klemmer sollte bei seinem Weggang das Pfarrhaus in dem Zustand belassen, in dem es gegenwärtig war. Offenbar hatte man die (begründete?) Sorge, dass Pfarrer Klemmer Eingriffe in den Bestand vornehmen könnte. Als Gegenleistung versprach die Gemeinde alle in der Amtszeit Klemmers getätigten Investitionen in das Pfarrhaus, den Pfarrhof und seine Ausstattung nicht in Rechnung stellen zu wollen[5].
Der Konflikt zwischen Pfarrer Johann Theodor Klemmer und seinen Haintchener Pfarrkindern wurde durch einen Vergleich gelöst, den zwei Priester, die mit Haintchen verbunden waren, vermittelt hatten. Die Absenkung der Geldforderung „bezahlte“ Pfarrer Klemmer möglicherweise mit seinem Weggang aus Haintchen – nach immerhin sechzehn Dienstjahren, in denen er sich v.a. auch um den Neubau der Pfarrkirche verdient gemacht hatte.
Pfarrarchiv Haintchen
Kurtrierische Zeit, Mappe Kirchenbau
Lesefassung[6]
Haintchen, 26. Juni 1750
Pfarrer JohannTheodor Klemmer vergleicht sich nach erfolgter Vermittlung im Streit mit den Haintchener Pfarrgenossen um seinen Kostenanteil zum Kirchenbau
Kraft dieses urkunden wir Endsgesetzte, dass heute laufenden Datums zwischen [dem] dermal abgehenden H[errn] Pastor H. Theodoro Klemmer[7] und unterschriebenen, hiesigen Orts und Gemeinde Haintchen Vorstehern, in Ansehung deren dem H. Pastor von wegen des angefangenen Kirchenbaues zugeteilt gewesenen fünfhundert R[eic]h[s]t[a]l[e]r[8], nachgesetzter Vergleich aus Lieb des Friedens und zu Verhütung bevorstehender zu vermutenden Irrungen anicht minder in Ansehung deren von [den] H. Pastoren Miger[9] und Deboul[10], als gewesenen Mittlern, getanen Versprechung zu einer freiwilligen Beisteuer zu einem neuen Altar oder anderen Kirchenutensilien[11], nach deren Gutbefinden, jedem 40 bis 50 Guldena dann auch zu endlicher Bezeugung der frommen Pfarrkinder zustehenden erkenntlichen Hochachtung und Dankbarkeit freiwillig getroffen worden, nämlich erstens erlässt man hierdurch besagtem H. Pastor an den 500 Rhtlr 200 schreibe zweihundert Rhtlr hat demnach H. Pastor nur 300 Rhtlr wirklich gegen eine unstrittige Versicherung abzuführen, welche 300 Rhtlr und nicht mehr von ihm H. Pastor gezahlt werden[12], dann noch
2tens, dass er, der abgehende H. Pastor, alles in dem Pfarrhaus in statu quo, wie [es] sich dermalen befindet, belassen soll, wodurch dann hiesige Gemeinde von fernerer Abrechnung und Vergütung deren im hiesigen Pfarrhof verwendeten notwendig gewesenen Kosten und Gelder absehen, besagter H. Pastor befreit und losgesprochen wird. Zu Festhaltung dessen beiderseitige H. Contrahenten und andere Zeugen unterschreiben
Haintchen, den 26. Juni 1750
J[ohann] Th[eodor] Klemmer p.t. Pastor loci mppria[13]
Roth Kurtrier[ischer] Schultheiß[14]
Joh[ann] Ad[am] Gerlach oran[ein]-nass[auischer] Schultheiß[15]
Philipp Rau Gerichtsschöffe[16]
F[erdinand] D[amian] Miger qua requisitus testis mp[17]
M[auritius (Moritz)] Deboul qua testis et mediator mp[18]
[a…a: am Rand eingefügt von anderer Hand]
[1] Der Bericht über die Grundsteinlegung im Pfarrarchiv Haintchen, Amtsbuch Bd. 2, [23r]; veröffentlicht in: 600 Jahre Haintchen, 81.
[2] So führte z.B. die möglicherweise von Kurtrier im Alleingang festgesetzte Verteilung der Baukosten gemäß der komplizierten Aufteilung des Haintchener Zehnten zu Auseinandersetzungen und Verzögerungen beim Baubeginn, s. dazu Pfarrarchiv Haintchen, Kurtrierische Zeit, Mappe Kirchenbau. Jenseits dieses Konflikts beklagte Pfarrer Klemmer aber z.B. auch die – nach seiner Ansicht – mangelnde Bereitschaft der Haintchener Pfarrkinder ihrer Verpflichtung zu Handdiensten beim Kirchenbau Folge zu leisten, s. dazu Pfarrarchiv Haintchen, Kurtrierische Zeit, Mappe Kirchenbau.
[3] Auch als die Kosten aufgrund veränderter Planungen und höherer Materialpreise anstiegen, als ersichtlich wurde, dass andere Zehntherrn nicht gewillt waren, ihren Kostenanteil zu übernehmen, setzte sich Pfarrer Klemmer trotzdem für einen zügigen Baubeginn ein, s. dazu Pfarrarchiv Haintchen, Kurtrierische Zeit, Mappe Kirchenbau.
[4] Hier könnte eine Auswertung der einschlägigen Bestände im Hessischen Hauptstaatsarchiv Aufklärung bringen. Möglicherweise spielten die Auseinandersetzungen zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde um die Durchsetzung der Zehntrechte eine Rolle. Diesen Streit führten sowohl bereits die Vorgänger von Pfarrer Klemmer als auch seine Nachfolger, s. dazu Pfarrarchiv Haintchen, Kurtierische Zeit, Mappe Zehntstreitigkeiten. S. dazu auch die von Pfarrer Ponsar 1789 verfasste Beschreibung der Pfarrei Haintchen, in: 600 Jahre Haintchen, 83-91, hier: 88.
[5] Im Jahr 1789 war die Instandhaltung des Pfarrhofs Aufgabe der Pfarrgenossen, s. die von Pfarrer Ponsar 1789 verfasste Beschreibung der Pfarrei Haintchen, in: 600 Jahre Haintchen, 83-91, hier: 85. Für eine anderweitige Regelung im Jahr 1750 konnte kein Anhaltspunkt gefunden werden.
[6] Der Text des Originals wurde in Rechtschreibung und Stil dem heutigen Sprachgebrauch angepasst.
[7] Johannes Theodor Klemmer wurde 1734 Pfarrer in Haintchen und wirkte hier bis zum Juni 1750, s. Alois Staudt, Beiträge zur neueren Kirchengeschichte, in: 600 Jahre Haintchen, 79-112, hier: 105.
[8] Die Zehntrechte in Haintchen waren stark zergliedert. Nach ihnen bemaß sich der jeweils zu tragende Kostenanteil am Neubau der Pfarrkirche. Da auch die Pfarrei Haintchen zu den Zehntherren (Decimatoren) gehörte, wurde dem Pfarrer ein Kostenanteil von 500 Reichstalern zugemessen, s. dazu insgesamt: Ludwig Baron Döry, Die Barockkirche in Haintchen, in: 600 Jahre Haintchen, 113-150, hier: 121; Rüdiger Fluck, Über Baumeister, Maurer und Maler der St. Nikolauskirche in Haintchen, in: Jahrbuch Kreis Limburg/Weilburg 2012, 233-236, hier: 233.
[9] Ferdinand Damian Miger wurde 1750 Pfarrer in Haintchen und wirkte hier bis 1756, s. Alois Staudt, Beiträge zur neueren Kirchengeschichte, in: 600 Jahre Haintchen, 79-112, hier: 105. Miger war zuvor möglicherweise Pfarrer in Werschau, s. dazu HHStAW 40 1992, und seit 1744 in Hasselbach, s. dazu Staudt, wie oben, 81; 700 Jahre Hasselbach, 101. In seiner Hasselbacher Amtszeit ereignete sich dort der verheerende Brand, dem auch die alte Pfarrkirche zum Opfer fiel, ebd. 86.
[10] Mauritius (Moritz) Deboul, (1716-1785), Priester u.a. in Alsheim, Mörsch und Dekan in Frankenthal (Landkapitel Dirmstein, Fürstbistum Worms).
[11] Nach Ausweis der Kirchenbaurechnung stiftete Pfarrer Deboul eine Fahne für 40 Gulden, Pfarrarchiv Haintchen, Kurtrierische Zeit, Mappe Kirchenbaurechung [2]
[12] Die Rechnung über den Kirchenbau verbucht den Zahlungseingang unter Hinweis auf den getroffenen Vergleich, s. Pfarrarchiv Haintchen, Kurtrierische Zeit, Mappe Kirchenbaurechnung [2].
[13] Lat.: Zeitlicher Ortspfarrer mit eigener Hand
[14] Johannes Roth (1707-1783) war kurtrierischer Schultheiß in Haintchen von 1741-1783, s. Rudolf Wolf, Zur Familiengeschichte von Haintchen im 17. und 18. Jahrhundert, in: 600 Jahre Haintchen, 189 -194, hier: 194.
[15] Johann Adam Gerlach (1702-1765/66) war oranien-nassauischer Schultheiß von 1741-1765, s. Rudolf Wolf, Zur Familiengeschichte von Haintchen im 17. und 18. Jahrhundert, in: 600 Jahre Haintchen, 189 -194, hier: 194.
[16] Philipp Rau (1696-1767). Zu ihm s. auch die Archivstücke 2018/1 und 2018/2.
[17] Lat.: [in der Eigenschaft] als angeforderter Zeuge mit eigener Hand
[18] Lat.: [in der Eigenschaft] als Zeuge und Vermittler mit eigener Hand